Luther als Evangelist Matthäus

Luther, der Evangelist

Die Luther-Sanktifizierung fand ihren Niederschlag in Rollenporträts Luthers, die ihn zum Beispiel als Evangelisten, Kirchenvater oder Glaubenshelden zeigen. Hatte am Beginn die reformatorische Bewegung ihren Protagonisten provokativ zum nimbierten Heiligen stilisiert, so wurde man sich bald der ambivalenten Bildbotschaft bewusst, erschien doch den Protestanten der Umgang mit tradierten Heiligen, ihren Bildern und Bildwerken sowie die Verehrungspraxis als zunehmend problematisch.
1530 schuf Lucas Cranach d. Ä. (um 1472–1553) Holzschnitte für eine weitere Ausgabe des Neuen Testaments. Dem Matthäusevangelium vorangestellt ist ein Bildnis des würdevoll gealterten Luthers in der Rolle des schreibenden und göttlich inspirierten Evangelisten. Luther ist in bürgerlicher Behäbigkeit angekommen. Die Zeit unmittelbarer Machtkämpfe scheint bewältigt, der Reformator kann sich seiner Arbeit an der Bibelübersetzung hingeben. Dementsprechend ist der Bildraum gefüllt von Symbolen göttlicher Inspirationskraft: Eine überproportionierte Geisttaube verstrahlt ihr Licht auf den Schreiber, ein Engel – Evangelistensymbol des Matthäus – fängt dieses Licht mit einem Spiegel ein, bündelt es und lässt so die heiligen Worte des Evangelisten in Luthers Feder fließen.
Auf subtile Weise durchdringen sich Gegenwart und göttlicher Heilsplan: Luther ist dem Evangelisten angeglichen; umgekehrt gleicht sich aber auch das Evangelium seinem Schreiber an. Die Darstellungen Luthers als Evangelist nutzen traditionelle Bildmuster und vermitteln die Autorität der Heiligen Schrift, einer Schrift, die, von Luther aufbereitet, nunmehr jedem, der lesen kann, in der Volkssprache zugänglich ist.