Der deutsche Kraftmensch Luther

Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft

Das Drama Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft von Friedrich Ludwig Zacharias Werner (1768–1823) wurde am 11. Juni 1806 unter großen Erwartungen des Berliner Publikums mit dem berühmten Schauspieler August Wilhelm Iffland (1759–1814) in der Hauptrolle uraufgeführt und brachte neben einem großen Publikumserfolg auch einen kleinen Theaterskandal (Abb. 1).

Aus Protest gegen eine nicht gemäße Darstellung Luthers, den man in der Aufführung wohl zu sehr einem romantisch-verklärten Mystizismus fragwürdiger Prägung unterstellt sah, veranstalteten Offiziere laut der Berliner Tagespresse eine sommerlich-nächtliche Schlittenfahrt entlang der Straße Unter den Linden, zu welcher sie sich als Luther, Katharina von Bora und Nonnen kostümiert hatten. Als Schlusspointe sollte die Schlittenfahrt wohl in einem Bordell als neuer Wirkstätte der Damen enden. Daraufhin ließ König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) das Stück vorläufig verbieten (zur Aufführungsgeschichte siehe ausführlich Fränkel 1904, S. 102 ff.; zur Anekdote ebd., S. 120; Gerlach 2009, S. 119).

Abb. 1
Abb. 1 [Friedrich Wilhelm] Meier nach Franz Catel: August Wilhelm Iffland als Martin Luther, in: Almanach für Theater und Theaterfreunde auf das Jahr 1807, Berlin: Oehmigke 1807, o. P. Stadtgeschichtliches Museum Leipzig: G V/19
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Ein zweites Mal kam es 1817 zu Protesten von Studenten, als Teile des Stücks anlässlich der Reformationsfeierlichkeiten aufgeführt werden sollten, obschon der Autor, Zacharias Werner, in Rom zum Katholizismus konvertiert war und sich 1814 zum katholischen Priester hatte weihen lassen. Als kritische Replik auf sein eigenes Werk hatte er unmittelbar zuvor das Gedicht Die Weihe der Unkraft (1813) veröffentlicht.

Schon Titel und umfangreicher Prolog seines Versdramas Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft, das ein Jahr nach der Uraufführung im Druck erschien, deuten auf die starke religiöse Ansprache, die Luther durch „Kunst, Glauben und Reinheit“ (Werner 1807, S. XIII) in Tat und Wort zur Weihe seiner Kraft verhelfen sollte.

Das ist die Weihe, die mein Lied gesungen, Die feste Burg, der Luther sich vertrauet, Die zu erklimmen herrlich ihm gelungen! – Noch ist es Tag nicht, doch der Morgen grauet Das sucht’ ich Euch zu schildern in Gestalten, Wie mein Gemüth im Glauben sie geschauet (Werner 1807, S. XVIII).

Der Verpflichtung auf den eigenen Glauben folgend erlaubt sich Werner im Prolog auch die dichterische Freiheit, den historischen Stoff ohne unbedingte Quellentreue zu gestalten: „Sey in der Chronik nichts davon zu lesen, | Nicht ihr, dem Ruf des Innern muß ich dienen; | Was im Gemüth gelebt, ist dagewesen!“ (Werner 1807, S. XIX).

Das fünfaktige Drama ist umfangreich und vielschichtig. Es umspannt einen Zeitraum von ungefähr viereinhalb Jahren und betrifft die historischen Ereignisse von der Verbrennung der Bannbulle über den Reichstag zu Worms bis zur Heirat Luthers mit Katharina von Bora, wobei Werner hier ungenau arbeitet, wenn er die Aufhebung des Klosters zeitlich vorverlegt und von Grimma nach Wittenberg versetzt, um die Handlungsstränge enger zusammenzuführen. Im Zentrum steht – wie in vielen anderen Lutherdramen auch – der Gang des Reformators nach Worms, dem zwei ganze Akte gewidmet sind. Bestimmend flankiert wird dieses historisch verbürgte Ereignis jedoch von der ausufernd fabulierten Liebesgeschichte um Katharina von Bora und Martin Luther, die vor allem die weibliche Protagonistin als redens- und willensstarke Figur deutlich akzentuiert. Entsprechend zeigt auch das Frontispiz nach einer Idee von Franz Ludwig Catel (1778–1856) die beiden Eheleute – Katharina schon mit Haube – Hand in Hand, jeweils ein Buch als Zeichen ihrer Gelehrtheit haltend. Ist Katharina in dem fast zeitgleich aufgeführten Luther-Drama von August Klingemann (1777–1831) (Kat. Nr. 46) nur mehr eine blasse, sentimentalisch-schüchterne Figur, die vom Schicksal Luther zugeführt wird, so modelliert Werner Katharina als Charakter mit unterschiedlichsten Zügen und großer emotionaler Wandelbarkeit, glaubensstark und präsent (Kanzler: „Ich acht’ in Euch | Das Weib von starker, allzustarker Seele“, Werner 1807, S. 34). Anklänge an Shakespeares The Taming of the Shrew (1594) lassen sich im Wechselfall von anfänglicher Widerspenstigkeit und späterer Vergötterung Luthers durch Katharina durchaus vermuten. Auch lassen sich viele nationaldeutsche Züge im Drama erkennen, wie sie beispielsweise auch im Freischütz (1821) von Carl Maria von Weber (1786–1826) aufscheinen. Die Nähe zu Schillers Historiendramen wurde bereits von Zeitgenossen gesehen (vgl. Fränkel 1904).

Das Stück beginnt in metaphernreicher Anspielung bei den Bergleuten von Freiberg, die das Erz als Gut bergen wie Luther den Glauben. Zugleich akzentuiert Werner durch volkreiche Genreszenen wie diese die Ausweitung der Handlung auf alle Stände. Auch der Oper steht er nicht fern: Das Drama ist von Liedern und musikalischen Einlagen durchzogen, auch Luthers Kirchenlieder – allen voran „Ein feste Burg ist unser Gott“, was leitmotivisch Eingang findet – werden so in die Dramenhandlung eingearbeitet. Die einzelnen Akte wurden in der Berliner Inszenierung von 1806 musikalisch untermalt, der Klavierauszug von Kapellmeister Weber konnte nach Drucklegung des Stücks erworben werden. Zudem wurde ein eigenes Heft mit Liedauszügen ausgegeben (Werner 1807, o. P. [Nachricht; nach Schmutztitel]; Werner 1806).

Mit der Klosterbefreiung wird Katharina von Bora im ersten Akt als „reine Seele“ (Werner 1807, S. 30) eingeführt. Ihr wird die Waise Therese als treue Begleiterin beiseite gestellt, eine Art engelhafter Kunstfigur („ein künstlich Kind“, ebd., S. 308), die an Goethes Mignon erinnert („Sie kennt nur Gott und mich“, ebd., S. 36). Katharina zeigt sich uneinsichtig, was das Ablegen des Schleiers betrifft, und auch der herbeigeeilte Jugendfreund und verstoßene Liebhaber Franz von Wildeneck, der als glühender Lutherverehrer auftritt, vermag dies nicht zu ändern. Während Franz bekennt: „Ich kam nach Deutschland, sah den großen Luther, | Und – O geliebter Engel, zürne nicht! – | Sein Bild thront neben dir in meinem Herzen“ (ebd., S. 49), kann Katharina dem in Bezug auf Luther nur entgegnen: „Wie ich ihn hasse!“ (ebd., S. 50). Die nachfolgende Szene der Bücherverbrennung bringt Luther und Katharina erstmals zusammen auf die Bühne. Katharina, die sich zunächst mit hitzigen Worten für die Erhaltung des Papsttums dem versammelten Volk zuwendet, wird vom Anblick Luthers, der hier das erste Mal als Bühnenfigur in Erscheinung tritt, emotional überwältigt und ruft als Akt des Erkennens aus: „Mein Urbild!“ (ebd., S. 70). Stärker als die historische Szene der Bücherverbrennung, die den Akt beschließt, ist hier die Wirkung auf die effektvolle Inszenierung der Liebe gelegt, die Katharina wie ein Blitzschlag trifft.

Der zweite Akt setzt mit einer Schreibszene ein, die Luther als entrückten Psalmenübersetzer mit stark somnambulen Zügen vorstellt, wie Heinrich von Kleist (1777–1811) dies kurz darauf im Käthchen von Heilbronn (1810) und Prinz von Homburg (1809/10) fassen wird. Der Akt wird vom Besuch der Eltern und Melanchthons bestimmt und von der Vorladung zum Wormser Reichstag überschattet. Luther hat sich in seinem Zimmer verschanzt – „Drei Tag’ ohn’ Speis’ und Trank!“ (ebd., S. 82) –, der Vater Luthers „sprengt mit seiner Hacke die Thüre auf“ (ebd., S. 84) und findet Luther „mit offnen starren Augen, wie leblos, da sitzend“ (ebd.). Die zweite Szene wechselt zu den Frauen ins Kloster und mündet in dem Bekenntnis Katharinas: „Ich muß ein Herz mir fassen – muß ich’s doch | Dem Heiland selbst gestehn! – ich liebe Luther – | Er ist das Urbild, das ich mir ersehnt“ (ebd., S. 140). Eine dramatische Steigerung erfährt die Handlung durch Luthers Entschluss, sich zum Reichstag nach Worms zu begeben; Katharina, die davon hört, folgt ihm als Pilgerin verkleidet. Auch diese Maskerade erinnert an shakespearesche Vorbilder.

Der dritte und vierte Akt sind ganz dem Geschehen vor und auf dem Wormser Reichstag gewidmet. Hier gewinnt das Drama über die psychologische Formung der Charaktere hinaus politische Dimensionen, wenn etwa der Kaiser und Narr Bossu sich im Streitgespräch um Narrenkappe und Krone befinden oder der Churfürst fragt: „Mein Vaterland | Seh’ ich erblaßen vor Partheienwuth, | Kann da der Deutsche munter seyn?“ (ebd., S. 163). Die Heroisierung wird auf die Spitze getrieben, wenn Luther – gedrängt von allen Freunden und Befürwortern – jedem Widerruf mit großer Geste abschwört:

Luther (mit starker Stimme): Ich lüge nicht! – Ihr thut mir leid! ich sterbe!
Katharina (vor sich – freudig): Er stirbt – er siegt!
Churfürst (erhaben): So segne Heil’ger mich! (er nimmt den Churhut ab und kniet vor Luther nieder, alle Uebrigen auch, bis auf Katharina und Therese)
Luther (sie segnend und gen Himmel blickend): Kraft! Freiheit! Friede! (ebd., S. 208).

Im Saal der Reichsversammlung lässt Werner die Reichsstände der Reihe nach zur Entscheidung antreten, und während Kaiser Karl, um seinen schwindenden Einfluss zu retten, das Urteil selbst noch durch seine Stimmabgabe wendet und Luther vom Scheiterhaufen freispricht, aber zugleich den Bann über ihn verhängt, verkündet der Churfürst von Mainz für Luther sprechend:

Für das Reich
Hab’ ich nur noch ein Wort zu sagen: – Freiheit!
Wir sind die freien Deutschen! – Freiheit ist
Des Rechtes Tochter – darum flieht das Unrecht! –
Nicht Scheiterhaufen, eine Säule baut
Dem Luther, der Euch lehret Deutsche seyn! (mit steigendem Affekt)
Besonnen, kräftig, stolz und einig war’t
Ihr Deutsche, – bleibt’s! – Ihr könnet viel, – seid Eins! (ebd., S. 247 f.).

Mit der Entführung Luthers im Wald – nach einer trauten Szene mit der verkleideten Katharina und der Tötung des Bergmanns Hubert – setzt ein dunkler und tragisch gefärbter Zug ein, denn der fünfte Akt beginnt mit der Totenfeier für die mittlerweile verstorbene Therese und zeigt eine höchst affektgeladene Katharina, die sich voll Schmerz auf die aufgebahrte Leiche wirft (ebd., S. 286). In diesem Akt verdichtet sich die Dramaturgie zu abenteuerlichen Szenen: Gespenstisch wird es, wenn Luther und seinem Gefolgsmann Theobald – auch dieser von Werner hinzugedichtet – im Traum zwei Engel in Gestalt von Therese und der Pflegemutter Luthers, Elisabeth, als Vorsehung im Wald bei der Wartburg erscheinen. Franz tritt als dem Wahnsinn verfallener Bilderstürmer auf, der mit seiner Rotte eine Kircheneinrichtung auf offener Bühne demoliert und Katharina, da von ihr verschmäht, mit dem Schwert richten will. Werner arbeitet hier wie insgesamt mit heftigen Gefühlswallungen und ‑ausbrüchen seiner Protagonisten. Die Schlussszene bringt noch ein wütendes Degengefecht und schließlich Luther auf die Bühne, der mit dem Schwert in der Hand für Freiheit, Kraft und Glaube eintritt (ebd., S. 379) (Abb. 2). In der Nähe eines Rührstücks bewegt sich das Ende des Schauspiels, in dem Luther nach und nach im Beisein aller Befürworter seine Liebe zu Katharina erkennt.

Abb, 2
Abb, 2 [Friedrich Wilhelm] Meier nach Franz Catel: Luther als Freiheitskämpfer, in: Friedrich Ludwig Zacharias Werner: Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft, Berlin: Sander 1807, o. P. [zu S. 379]. HAB: Wi 596

Zacharias Werners Hang zum haltlosen Schwärmertum ist schon von Zeitgenossen, darunter E. T. A. Hoffmann (1778–1822) und Germaine de Staël (1766–1817), kritisch gesehen worden. Neben Theaterbühne und Drama war die religiöse Orientierung, die schließlich zu Katholizismus und Priesteramt führte, leitend für Werners persönliche Entwicklung. Die Beschäftigung mit Luther als Figur des Glaubens, dessen Erhöhung zum Heiligen im Drama, scheint in diesem Sinne Vorbote seiner Konversion. In Königsberg geboren verschlug es Werner 1805 nach Berlin, wo er Bekanntschaft mit Julius Eduard Hitzig (1780–1849) und E. T. A. Hoffmann schloss und mit August Wilhelm Schlegel (1767–1845), Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) und Ludwig Tieck (1773–1853) in Kontakt stand. Seine Hoffnung, dass das von Iffland geleitete Nationaltheater Medium seiner Kunst werden könnte, erfüllte sich mit der erfolgreichen Aufführung des Luther-Dramas 1806. Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft schrieb Werner angeblich in wenigen Monaten. Er erhielt für die Uraufführung das damals sehr hohe Honorar von 500 Talern. Das Urteil der Kritik fiel zwiespältig aus, neben viel Lob für die Inszenierung gab es auch kritische Stimmen:

Viel Allegorie und Symbolik ist, besonders gegen den Schluß hin, auch in diesen volksthümlichen Stoff hineingeheimnißt, und das Ganze wird unwahr bis zur Verzerrung. Im einzelnen ist manches wahrhaft poetisch herausgearbeitet, und vorzüglich sind wieder die theatralischen Massenscenen, der Reichstag von Worms etwa, aber wieder wird die Musik, gelegentlich mit charakteristischem Effect die beiden Confessionen contrastirend, zur Steigerung der Wirkung in opernhafter Weise herbeigezogen. „Der Eindruck des Ganzen ist widrig religiös“, schrieb Zelter in seinem Bericht an Goethe, und dieser fällte auf Grund der ihm allein bekannten Söhne des Thales das auch hier gültige, scharfe Urtheil: „das sollen nun Ideen heißen und sind nicht einmal Begriffe“ (Sulger-Gebing 1897, S. 69).

Zacharias Werner besaß – hierin ist sich die Forschung einig – großes dramatisches Talent. Mit Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft schuf er zu Beginn des Jahrhunderts ein Stück, das mit seinen Schauermomenten auf die in seinem noch bekannteren Drama Der vierundzwanzigste Februar (1808) zur vollen Entfaltung entwickelte Form des sogenannten Schicksalsdramas vorbereitet. Er führt eine metaphernstarke, adjektiv- und worterfindungsreiche Sprache, verwendet mitunter Anachronismen oder Archaismen, die gezielt eingesetzt werden, um der Rede etwas Altertümliches, in diesem Fall Altdeutsches zu verleihen (zur Sprach- und Stilanalyse siehe Degenhart 1900). Oftmals verfallen die markant von ihm gezeichneten Figuren in ‚heftige Erregung‘, entsprechend ist die dramatische Rede von vielen Ausrufen gekennzeichnet. Lebendigkeit gewinnt das Sprechen darüber hinaus durch Auslassungen und Unterbrechungen, die Dialogpassagen sind flott gesetzt, auch Massenszenen erscheinen nicht starr, sondern sind durch Beiseitereden und schnelle Szenenwechsel kunstvoll gestrickt. Werners dramatische Modellierung des Lutherstoffs zeigt sich in dem raschen Wechselfall von Kräftigem, Originellem, Exzentrischem und Rührseligem. Wahnhafte Momente und Gestalten, Träumer, Schwärmer, aber vor allem auch der Kraftmensch, wie er in den Sturm-und-Drang-Dramen von Johann Anton Leisewitz über Friedrich Maximilian Klinger bis Friedrich Schiller gezeichnet wird, sind seiner Gestaltung eigen. Die Anklänge an Goethes Götz von Berlichingen (1771) sind dabei nicht zu übersehen, zumal dieser sowohl stilbildend als auch themenbindend in Hinblick auf die Dramatisierung Luthers nach 1800 wirkte, auch wenn es Goethe im Götz bei einem Auftritt des unspezifisch bleibenden Bruder Martin beließ (vgl. Laufhütte 1984, S. 34).

Das durch die in der Aufklärung vermittelten säkularen Diskurse ins Wanken geratene Lutherbild, das zuungunsten historischer Treue verschoben werden musste, geriet spätestens mit Johann Gottfried Herder (1744–1803) in den Fokus der Nationalbildung. Heinrich Bornkamm konstatiert neben der Verehrung Luthers als Freiheitsheld und als Persönlichkeit von weltgeschichtlicher Größe: „In Luthers Geist hat sich die nationale Religion des deutschen Volkes am reinsten ausgesprochen“ (Bornkamm 1970, S. 26). Dadurch wird – und dies ist auch in Werners Drama mehr als offenkundig – eine Ausweitung von Stoff und Person ins Überkonfessionelle vorangetrieben und Luther einem deutsch-nationalen Geschichtsbewusstsein einverleibt. Werner warb selbst in der Ankündigung seines Dramas: „Einen deutschen Helden wollte ich den Deutschen darstellen, in einer Zeit, wo selbst Heldenseelen dem Drucke der Verhältnisse, wo nicht erliegen, doch weichen müssen“ (E. A. B. 1806, S. 278).

Werner schrieb sein Lutherdrama in der Zeit der napoleonischen Besatzung. Entsprechend finden sich zahlreiche Parallelisierungen vom Wormser Reichstag und dem eigenen zeitgenössischen Geschehen. So wird Luther bei Werner zur Leitfigur nationaler Erhebung stilisiert (vgl. Hensing 1984, S. 6). Ritterstand und Glaubensgemeinschaft werden so jenseits eines Willens zum Dokumentarismus in einem nationalmythisch überformten Gemenge miteinander verbunden. In Krisenzeiten werden nationale Ikonen auch durch Literatur geformt oder gar geschaffen (vgl. Bornkamm 1970, S. 42 ff., der dies aus Rankes Geschichtsauffassung herleitet). Hinzukommt bei Werner ein starker Hang zu religiöser Verklärung.

In Werners Weihe der Kraft wird offenbar, dass Luther als „Garant, Prophet und Vollstrecker nationaler Programme und Sehnsüchte erscheint“ (Hensing 1984, S. 7). Dramatisch kunstvoll in Szene gesetzt wird das frühe 19. Jahrhundert dergestalt zum Vorläufer von Nationalideologien, die in der Vereinnahmung durch völkisches und nationalsozialistisches Gedankengut ein Jahrhundert später ihren traurigen Höhepunkt erlangen. Auch bei Werner wird Luther als deutsche Identifikationsfigur aufgestellt. Gelingt es Luther in Kleists fast zeitgleich erschienener Erzählung Michael Kohlhaas (1808/10) nicht, der Entschlossenheit des Mordbrenners etwas entgegenzusetzen, was jenen überzeugen könnte, ja bleibt hier die Lutherfigur merkwürdig phrasenhaft und wird mithin desavouiert, so ist es Werner daran gelegen, mittels der Inanspruchnahme aller dramatischen Register – von der rührselig schwärmerischen Romanze zwischen Luther und Katharina über den vor Wahnsinn rasenden Bilderstürmer Franz von Wildeneck hin zur mystischen Verklärung der schönen Seele Therese – ein Werk zu schaffen, das Luther durch göttliche ‚Weihe’ jene Kraft verleiht, den Widerständen des Daseins und des Zweifelns zu trotzen. Kritik an dieser Art der Verherrlichung übte auch Theodor Fontane (1819–1898). Das zweite Kapitel seiner Novelle Schach von Wuthenow (1883) trägt den Titel von Werners Drama. Fontane lässt hier die Teegesellschaft über die ifflandsche Aufführung räsonieren. Im Für und Wider werden die mystisch-romantischen Tendenzen des ‚tagesberühmten Herrn‘ bloßgestellt.

So zeigt Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft unter vielen Lutherbearbeitungen des 19. Jahrhunderts, wohin die Vereinnahmung historischer Persönlichkeiten führen kann, wenn sie den Reformator Luther in eigener Sache zum deutschen Kraftmenschen transformiert.

Constanze Baum

Literatur:

Hitzig 1823; Karnick 1983; Korsch 1983.