Gelehrtenporträt Martin Luthers

Die austauschbaren Reformatoren

Ein eindrucksvolles Zeugnis der Wittenberger Lutherverehrung des frühen 17. Jahrhunderts liefert der äußerst erfolgreiche lateinische Psalter des Helius Eobanus Hessus (1488–1540) aus dem Besitz des Gräzisten Erasmus Schmidt (1570–1637), der im Bestand der ehemaligen Universitätsbibliothek Helmstedt erhalten ist. Das Psalterium Davidis ist eine der verbreitetsten lateinischen Dichtungen des 16. Jahrhunderts. Allein die Herzog August Bibliothek besitzt das Werk in über 20 Drucken aus dieser Zeit.
Erasmus Schmidt besaß ein Exemplar der Straßburger Ausgabe von 1545, in das er anscheinend selbst eine kolorierte Federzeichnung Luthers einklebte. Das eher ungelenk ausgeführte Bild geht auf ein Porträt Lucas Cranachs d. J. zurück. Unterhalb des Porträts findet sich ein in elegischen Distichen verfasstes Gedicht von der Hand Schmidts.
Der Typus des Gedichts über dem Porträt eines Gelehrten entwickelte sich im 16. Jahrhundert im Kontext der Reformation und fand in der Frühen Neuzeit große Verbreitung. Sein Grundgedanke liegt in der Konfrontation von Porträt und schriftlicher Hinterlassenschaft als Quelle für die Darstellung einer Person. Dabei erscheint die Schriftlichkeit stets als das bessere oder adäquatere Zeugnis für die Person.
Schmidt schreibt hier zudem ein Melanchthongedicht in ein Luthergedicht um, dies jedoch nicht etwa aus Ablehnung gegenüber Melanchthon. In seiner Jubiläumsrede stellt er Luther und Melanchthon als Lichtgestalten auf eine Ebene. Dennoch ist es bezeichnend für die konfessionspolitischen Verhältnisse in Wittenberg nach 1574, dass Luther und Melanchthon gewissermaßen austauschbar werden.