Angebliches Stück vom Rock Martin Luthers

Luther trug schwarz

Ein Stück von Luthers Rock in Wolfenbüttel? Wann und wie das briefmarkengroße Stück aus schwarzer, fester, enggewebter Wolle nach Wolfenbüttel kam, ist ebenso ungeklärt wie seine Zuschreibung an Luther. Ein anekdotisches Narrativ, mit dem sich das Wollquadrat in die lutheranische Hagiographie hätte einschreiben können, fehlt.
Anzunehmen ist, dass solche unikalen Dinge, die vermeintlich aus dem Besitz Luthers stammten und sich in der breiten protestantischen Bevölkerung einiger Beliebtheit erfreuten, gutgläubigen Besuchern, mit einer entsprechenden Anekdote angereichert, vorgeführt wurden.
Zugestanden werden muss aber bei aller Marginalität des Wollstücks selbst, dass der Kleidung Luthers in der frühen Reformationszeit das Potential einer Kontaktreliquie innewohnte. Bekannte und eingeübte christliche Praktiken betrafen demzufolge Luther als Person schon zu Lebzeiten und wurden von päpstlicher Seite forciert zur Entlarvung Luthers als Antichrist oder Ketzer angeführt. Sie arbeiteten damit gleichzeitig einer lutherischen Hagiographie zu, die zwar in reformatorischen Kreisen schon früh auf schroffe Ablehnung stieß, sich aber nicht gänzlich abschütteln ließ, auch wenn Luther selbst sich mehrfach gegen den katholischen Reliquienkult ausgesprochen hatte.
Dass der Wolfenbütteler Stoffrest Luther zugeschrieben wird, mag vielleicht der schwarzen Färbung eines alten robusten Wollstoffs geschuldet sein. Das Augustinereremiten-Habit war schwarz. Schwarz war zugleich die weltliche Modefarbe des 16. Jahrhunderts. Angesichts der Faktenlage liegt die Vermutung nahe, dass das Fundstück erst relativ spät in die Sammlung nach Wolfenbüttel kam und zur Luther-Rarität umgewidmet wurde.