Lutherbildnisse im Dienst fürstlicher Selbstdarstellung

Idealdarstellung der Bibelsammlung von Elisabeth Sophie Marie von Braunschweig-Lüneburg

Die verwitwete Fürstin Elisabeth Sophie Marie von Braunschweig-Lüneburg (1683–1767) war vermutlich nicht die einzige fürstliche Person, die Luther für ihre mediale Strategie einsetzte und damit zugleich die Praxis seiner Vermarktung fortsetzte. Luthers Konterfei unterhalb ihres eigenen Porträts prominent auf ihrem Bibliotheksprospekt zu platzieren, verleiht dem persönlichen Glaubensbekenntnis der Fürstin einen programmatischen Charakter. Zugleich zeigt diese Inszenierung die dynastische Zugehörigkeit des Hauses Braunschweig-Wolfenbüttel zum Augsburger Bekenntnis mit Nachdruck an. Eine derartige öffentliche Demonstration ist vor dem Hintergrund der Witwenschaft der Fürstin durchaus bemerkenswert, da für diese weibliche Position mediale Strategien nur noch eingeschränkt zur Verfügung standen (Ilg 2015; Bepler 2009; Schattkowsky 2003). Lutherbildnisse waren seit 1517 Bestandteil einer Druckindustrie geworden, die Luther als Marke hervorgebracht hatte. Sie wurden im 16. Jahrhundert zum Markenzeichen der Reformation, schließlich auch der lutherischen Konfession und Landeskirchen (Kolb 1999). Auch fürstliche Witwen verwendeten die Marke Luther für ihre politischen Statements. Elisabeth Sophie Marie ließ sich mittels einer Radierung von Johann Georg Schmidt (1694–1767) nach einer Vorlage von Anton August Beck (1713–1787) in ihrer Bibelsammlung auf einem von einem Putto getragenen bekrönten Medaillon abbilden (Mortzfeld 1986–2008, Bd. 3, S. 95 u. Bd. 29, S. 310, A 2414). Daneben befindet sich ein Putto, eine ovale Tafel haltend, mit der Inschrift: „Das Wort | unseres Gottes | Bleibet ewig- | lich. | Jes. 40.8.“ Darunter sieht der Betrachtende in guckkastenartiger Darstellung zwei hintereinanderliegende Bibliothekssäle mit Besuchern. Vor dem aufgezogenen Vorhang trägt ein fliegender Putto das Porträt Luthers, daneben im Giebelsockel sieht man ein Medaillon mit den Initialen der Fürstin „ESM“.

Die aus Norddeutschland stammende und ins Herzogtum Wolfenbüttel eingeheiratete Elisabeth Sophie Marie setzte sich als Fürstin wie Landesmutter aktiv für die lutherische Konfession ein. Sie betätigte sich als theologische Autorin und Mäzenin sowie in ihrer Witwenzeit als Bibelsammlerin. Elisabeth Sophie Marie, geborene Herzogin zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Norburg, war nach nur dreijähriger Ehe 1704 verwitwet und heiratete 1710 in zweiter Ehe den erheblich älteren Erbprinzen August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel (1662–1731), einen Sohn des ‚Barockfürsten‘ Anton Ulrich (1633–1714), für den es bereits die dritte Ehe war. Dynastische Notwendigkeiten mit der Hoffnung auf einen männlichen Erben führten zu dieser Verbindung, doch das regierende Herzogpaar blieb kinderlos. Die Heirat ins Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel war in gewisser Weise eine Rückkehr gewesen, denn Elisabeth Sophie Marie war nach dem Tod ihrer Eltern als Fünfjährige ab 1688 zusammen mit ihrem jüngeren Bruder bei ihrem Vormund Anton Ulrich in Wolfenbüttel aufgewachsen und durch dessen Ehefrau, Elisabeth Juliane (1634–1704), eine geborene Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Norburg, ihre Tante väterlicherseits, erzogen worden. Tante und Onkel wurden mit der Heirat ihre Schwiegereltern (Hillmann-Apmann 2006; Munding/Reinitzer 2000; Reinitzer 1992).

Die Herzogin war nicht nur eine entschiedene, sondern auch eine kämpferische Lutheranerin. Sie griff zur Feder und verfasste Werke mit konfessionellem Streitcharakter. Lutherische Pfarrer feierten sie daher als Ikone. Der streitbare lutherische Theologe und konvertierte Jesuit Johann Rempen (1663–1744), dessen Werk sie nach seinem Ableben herausgab und der durch ihren Einfluss eine Professur in Helmstedt erhalten hatte, rühmte sie als „Liebhaberin der evangelischen Wahrheit“ (Rempen 1755, Titel). Wie viele Fürstinnen beließ es Elisabeth Sophie Marie nicht bei Lektüre und Sammlung von Büchern, sondern verfasste auch eigene Werke, darunter eine mehrfach aufgelegte Laiendogmatik, in der sie 17 zentrale Glaubensartikel der katholischen Kirche auf 362 Oktav-Druckseiten „zum nöthigen Unterricht was jeder Theil glaubt und glauben soll“ widerlegte und ihren Argumenten mit eigenen Gebetstexten eine persönliche Note gab (Elisabeth Sophie Marie 1714, Titel). Als Witwe verfasste Elisabeth Sophie Marie eine kontroverstheologische Schrift, in der sie katholische Glaubensartikel zu widerlegen suchte und sich zugleich gegen die Behauptung des Jesuiten Franz von Seedorf (1691–1758) wandte, der vorgab, mit diesen Glaubensartikeln Herzog Friedrich Michael von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld (1724–1767) im Jahr 1746 zur Konversion zum Katholizismus gebracht zu haben (Elisabeth Sophie Marie 1750). In der Vorrede beschreibt sie ihre gut lutherische Lektürepraxis, nach der sie römisch-katholische Bücher und deren Geltungsanspruch mit der Bibel abgleiche, die sie als einzige von „Gott gegebene Vorschrift unseres Glaubens und Lebens“ akzeptiere. Als ihr gegenkonfessionelles Werkstudium nennt sie unter anderem die Ergebnisse des Konzils von Trient, die von Papst Clemens XI. (1649–1721) im Jahr 1713 verfasste Bulle Constitutio Unigenitus, die Moral der Jesuiten, die Legenden der Heiligen, die Bekenntnisse und Eide, die von zum Katholizismus Konvertierten abgelegt werden müssen.

Die Fürstin engagierte sich zudem als Mäzenin und Förderin von Theologen und Konvertiten. Sie finanzierte beispielsweise die gymnasiale Ausbildung des jungen, später berühmten Lorenz von Mosheim (1693–1755) in Lübeck und sorgte für seine Berufung als Theologieprofessor an die Universität Helmstedt (Alwast/Alwast 1994). Aufgrund ihrer mäzenatischen Aktivitäten erscheint sie auch häufig als Widmungsempfängerin.

Elisabeth Sophie Marie nahm durch ihre Schreiben an den konfessionellen Kontroversen im Reich teil und stellte die lutherische Bibelübersetzung ins Zentrum ihrer konfessionellen Wahrheitsfindung. Vor diesem Hintergrund begann sie als vermögende Witwe Bibeln zu sammeln, die sie über Auktionen in Ulm, Den Haag, Berlin und Leipzig erwarb. 1743 kaufte sie die umfangreiche Sammlung des Hamburger Seniors Palm. 1765 ließ sie ihre inzwischen berühmte Sammlung vom Grauen Hof, dem Residenzschloss in Braunschweig, nach Wolfenbüttel bringen, wo sie mit der Bibelsammlung von Herzog August d. J. vereint wurde (Gleixner 2010; Reinitzer 1983; Arnold 1978). Ihr Hofprediger Georg Ludolph Otto Knoch (1705–1783) gab in ihrem Auftrag einen gedruckten Katalog der Sammlung heraus. Mehr als 1100 Bibeln in den alten und neuen Sprachen sowie überaus zahlreiche Luther-Übersetzungen hatte sie zusammengebracht. Darunter befinden sich allein 47 Polyglottenbibeln, 9 lateinische Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert, 210 Lutherübersetzungen zwischen 1517 und 1599 in allen europäischen Sprachen, 19 hebräische Bücher des Alten Testamentes, 9 arabische Bibeln, zwei Bibeln in türkischer Sprache und eine in Fell eingebundene Bibel auf Kirchenslawisch. Ihr Exemplar von Luthers Neuem Testament in der ersten tamilischen Übersetzung war ein Produkt der dänisch-halleschen Indienmission und in Zusammenarbeit der ersten Missionare mit ihren indischen Sprachlehrern entstanden. Die streng lutherische Fürstin sammelte auch neue katholische Bibelübersetzungen sowie reformierte Ausgaben und solche von protestantischen Separatisten (Knoch 1752). Wie auf dem Prospekt zu sehen ist, zog ihre Sammlung auch Besucher an. Erhalten hat sich ein in rotes Samt gebundenes, aufwändig mit Krone, Wappen und Mustern in Gold und Silberbrokat besticktes Gästebuch mit Eintragungen von Fürsten und Adeligen aus der Region, darunter viele Frauen, sowie von Pfarrern, Gelehrten, Professoren aus Helmstedt und Göttingen, Reisenden aus England und Schottland, Dichtern und Philosophen wie etwa Johann Christoph Gottsched (1700–1766) (HAB: Cod. Guelf. 125.25.A Extrav.).

Jill Bepler hat darauf hingewiesen, dass Fürstinnen die ersten Vorbeterinnen im Territorium waren. Zu ihrer fürstlich-landesmütterlichen und daher politisch-staatlichen Aufgabe gehörte es, für die Belange des Herzogtums wie für die Mitglieder der Familie und die Landeskinder zu beten (Bepler 2002). Exemplarisch gelebte, demonstrative Frömmigkeit und ein intensives Interesse an religiöser Literatur gehörten auch im 18. Jahrhundert zum Profil von Fürstinnen. Herzogin Elisabeth Sophie Marie machte als lutherische Fürstin und Landesmutter wie später als Witwe ihren Einsatz für die tiefe Verwurzelung der Augsburger Konfession im Hause Braunschweig für alle Welt sichtbar. Ihre kontroverstheologischen Schriften und der Aufbau ihrer Bibelsammlung, die sie mit Luthers Konterfei ins Bild setzen ließ, sind auch im Kontext einer persönlichen Verarbeitung der dichten Konversionsfolge im Haus Braunschweig-Wolfenbüttel zu lesen: Ihre Nichte Elisabeth Christine (1691–1750) war 1707 im Zuge der Heirat mit Karl VI. von Habsburg (1685–1740) konvertiert, ihr Vormund und Onkel Anton Ulrich hatte 1709 wenige Jahre vor seinem Tod einen Konfessionswechsel vollzogen, und 1712 war ihre Schwägerin Henriette Christine (1669–1753) als abgesetzte Äbtissin des Reichsstiftes Gandersheim zum Katholizismus übergetreten. Konversionen im eigenen Haus waren bedrohlich und führten bei der treuen protestantischen Fürstin zu Gegenreaktionen. Das Schreiben, das Mäzenatentum und Bibel-Sammeln waren Praktiken im fürstlichen Handlungsfeld mit dem Ziel der Festigung der lutherischen Konfession im Hause Braunschweig-Wolfenbüttel. Der im Druck veröffentlichte Bibliotheksprospekt mit Lutherbild erlaubte der fürstlichen Witwe eine demonstrative, politische Stellungnahme zur Verteidigung der lutherischen Konfession. Die Fürstin bediente sich der Marke Luther im persönlichen wie politisch konfessionellen Wettbewerb.

Ulrike Gleixner

Literatur:

Bepler 2009; Gleixner 2010; Kat. Wolfenbüttel 1983; Schattkowsky 2003.