Luther, der Teufel

Einführung in die Sektion

Hole Rößler

Dass „die Welt voll Teufel wär’ “, ist in Martin Luthers Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott zumindest als Möglichkeit formuliert. Zeitgenössischen Schriften zufolge war diese Vorstellung nicht einmal besonders abwegig, hatte Luther doch angeblich auf die eine oder andere Weise immer wieder mit dem Teufel zu tun. So ist in den Tischgesprächen (1566) die Rede von Besuchen und Versuchungen des Teufels, gegen die sich der Reformator mal rhetorisch, mal körperlich zur Wehr setzen musste (Kat. Nr. 1).1 In den Legenden über Luther erfuhr dieser Stoff etliche Variationen und ist bis heute Teil der oralen Kultur und des kulturellen Gedächtnisses.2 Zudem stellten Luther und seine Mitstreiter ihre Auseinandersetzung mit dem Papsttum regelmäßig als Kampf gegen den Teufel und den von ihm gezeugten Antichristen dar (Abb. 1).3

Abb. 1
Abb. 1 Martin Luther: Wider das Bapstum zu Rom vom Teuffel gestifft, Wittenberg: Lufft 1545, Titelblatt. HAB: M: Li 5530 Slg. Hardt (67,1346)

Erasmus Alberus (um 1500–1553), ein ehemaliger Student Luthers und engagierter Reformator, lässt in seinem vielfach aufgelegten Dialogus von Martino Luther und der geschickten pottschafft auß der helle (1523) einen Gesandten der Hölle mit Luther zusammentreffen (Abb. 2). Als Mönch verkleidet beschuldigt er den Reformator, nicht nur ein falscher Prophet, sondern der Antichrist selbst zu sein, sei doch durch ihn die christliche Welt entzweit worden. Er fordert Luther – nach der Leipziger Disputation und der Anhörung während des Wormser Reichstags – erneut auf zu widerrufen, was dieser wiederum ablehnt. In seinem Vorhaben gescheitert, gibt sich der Teufel zu erkennen und erklärt seine Absicht: Für die Sache der Katholischen trete er ein, weil Luther mit seinen Predigten und seiner Kirchenpolitik gleichermaßen den Fortbestand des Papsttums wie der davon abhängigen Hölle gefährde.4 Die römische Kirche, so die Botschaft des Dialogus, ist eine Einrichtung des Teufels, deren Anhänger um ihr Seelenheil fürchten müssen.

Abb. 2
Abb. 2 Erasmus Alberus: Ain schoner Dialogus von Martino Luther und der geschickten pottschafft auß der helle die falsche gaystligkayt und das wortt gots belangen gantz hubsch zu lesen, o. O.: o. D. 1523, Titelblatt. HAB: A: 146.12 Theol. (30)

Der Teufel in Mönchskutte war freilich keine ganz neue Erfindung.5 Älteren Ursprungs erlebte dieses Motiv in den konfessionellen Auseinandersetzungen eine besondere Konjunktur. Am Anfang steht das Wormser Edikt vom 8. Mai 1512, in dem das Bild auf Luther angewandt wird, der zu diesem Zeitpunkt noch Angehöriger der Augustinereremiten war: Luther sei „non homo, sed diabolus ipse, sub hominis specie ad perniciem humani generis adsumpta monachi cuculla“ – „nit ein Mensch, sonder als der böß vheinde/ in gestalt eins Menschen mit angenomer Münch’s Kuten“.6 Weitere Verbreitung fand diese ‚Entlarvung‘ in Publikationen von Luthers erbittertem Gegner Johannes Cochlaeus (1479–1552), der paraphrasierte: „Unicus iste, non homo: sed malus inimicus, sub specie hominis“ – „Er ist kein Mensch, sondern der böse Feind in Menschengestalt“.7 Noch im 17. Jahrhundert finden sich vereinzelt polemische Schriften, die dieses Motiv aufnehmen.8 1659 etwa erscheint eine Abhandlung aus der Feder des zum Katholizismus konvertierten Timotheus Laubenberger, in der dieser mit einer Verspätung von über hundert Jahren auf Luthers Spätwerk Wider das Bapstum zu Rom vom Teuffel gestifft (1545) antwortet. Der Text ist als Beichte und Selbstanklage Luthers formuliert, der sich „General-Teuffel“ nennt und gesteht, dass „alle meine Schrifften/ fast allesambt der arth gewesen/ […] als seyen sie aus dem Teuffel“.9

Derartige Gleichsetzungen Luthers mit dem Teufel blieben allerdings die Ausnahme. Häufiger wurde der Reformator von seinen Gegnern als Verbündeter oder Kind des Teufels dargestellt. Ein um 1520 entstandenes Flugblatt zeigt einen Augustinermönch, der zusammen mit einem Teufel das Übel für die Welt zusammenbraut (Abb. 3):10

falsch, unglaub, neyd, Hoffartt, Ergern, Auffrur, Verachtung, Hochmuot, Verirrung, Kertzery, Lügen, Ungehorsam, Gotslestrung, Unkeusch[heit], Fleuschlich Freiheit, Zerrutung, Untrew.

Die Überschrift – Das ist des Lothers ketzers spill – macht deutlich, dass hier trotz der Abweichung von bereits verbreiteten Porträts Luther als Quelle und Ursache von „auffrur und pluot vergiesen | Zanck und hader“ vorgeführt wird. Offenbar um etwaige Unklarheiten auszuräumen, hat ein unbekannter zeitgenössischer Vorbesitzer dieses Blattes der Mönchsfigur noch die Angabe „Luther“ handschriftlich hinzugesetzt.

Abb. 3
Abb. 3 Das ist des Lothers ketzers spill, Dauon kumbt auffrür vnd jamers vil, Der Gottes dinst ist worden still, 1520, Einblattdruck. bpk/Staatsbibliothek zu Berlin: Einbl. YA 108 m
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Wohl auf den Kontroverstheologen Petrus Sylvius (1470–1547) geht die Erzählung von Luthers teuflischer Abstammung zurück (vgl. Kat. Nr. 21 u. Nr. 25). Laut einer angeblichen Jugendfreundin, auf die sich Sylvius beruft, sei Luthers Mutter „nachts bey verschlossen thüren ein schöner jüngelingk ynn rothen kleydern“ erschienen, der ihr das bevorstehende Zusammentreffen mit ihrem späteren Ehemann angekündigt habe. Deutlich erkennbar rekurriert Sylvius damit auf das Narrativ von der Verkündigung Mariens, wendet es aber zum Beginn einer Unheilsgeschichte. Dass Martin Luther kurz nach der auf diese erste Begegnung folgenden Hochzeit geboren wurde, ist für Sylvius ein Beweis dafür, dass „der Luther langst vor der hochzeyt von eim leybhafftigen bösen geyst yn menschlicher gestalt/ genant Incubo/ doch als es pflegt zu geschehn/ aus menschlichem samen/ und also nach der gestalt des lautern Antichrists durch wyrckungen des bösen geyst empfangen ist“.11 Für Sylvius und seine Epigonen war Luther gleichwohl noch nicht der eigentliche, das heißt apokalyptische Antichrist, sondern dessen unmittelbarer Vorläufer – auch als „vermischter Antichrist“ („antichristus mixtus“) bezeichnet –, der das baldige Weltende ankündige.12 Zahlreich sind die aus diesen Erzählungen entsprungenen Antilegenden, in denen Luther als Kind Satans oder zumindest als dessen folgsamer Anhänger und Sprachrohr auftritt.13

All diese ‚Verteufelungen‘ Luthers dienten dabei vornehmlich der Herstellung von Alterität, der Markierung einer absoluten Differenz.14 Luther, das war das ganz andere, zu dem es keine Annäherung geben konnte – und dem gegenüber das eigene in hellem Glanz erstrahlen konnte. Erkennbar wird dies etwa in der Verwendung Luthers als dezidierte Negativfigur und Verkörperung des Bösen im mexikanischen Neuspanien vom späten 16. bis weit ins 18. Jahrhundert. Entsprechende Darstellungen auf Kirchenwänden oder im Theater verdankten sich wesentlich der nachtridentinischen Kontroverstheologie und deren Manifestationen in Predigten und den Bildenden Künsten. Entscheidend war aber auch der Umstand, dass in Lateinamerika so gut wie keine Lutheraner existierten, der Reformator und seine theologische Lehre mithin einem Großteil der indigenen und missionierten oder noch zu missionierenden Bevölkerung völlig unbekannt waren, so dass hier zumindest zeitweise eine weitgehend fiktionale und mythologisch aufgeladene Antifigur entstand.15

Erkennbar fungierten die von katholischer Seite behaupteten Beziehungen Luthers zum Teufel als Revanche für gleichartige Angriffe auf Papst und Kirche und mehr noch als eine mehr oder weniger schlichte antithetische Reaktion auf die Selbstdarstellung der Lutheraner. In dem Maße, wie protestantische Biographen und Historiker nach Luthers Tod eine Erfolgsgeschichte der von Gott initiierten Reformation als Gegengeschichte zur römischen Kirche schrieben,16 um der neuen Konfession einen Anfang und ein Corpus an heldenhaften Streitern zu geben, mehrten sich auch die Gegenstimmen, die diese Ursprungserzählung in die Geschichte eines großen Irrtums transformierten. In seiner erstmals 1569 gedruckten Enzyklopädie der Häretiker und der Häresien erwähnt Gabriel Du Préau (1511–1588) nicht nur die Geschichte von der dämonischen Abstammung Luthers, sondern auch, dass Luther ebenso wie der frühchristliche Prophet Montanus und Mohammed vom einem bösen Geist besessen gewesen sei.17 Ganz ähnlich geht der Franziskaner Johannes Nas (1534–1590) im fünften Teil seiner zwischen 1569 und 1570 gedruckten, deutschsprachigen Centuriae mit den die Grenze zur Verklärung überschreitenden Predigten eines Cyriacus Spangenberg (1528–1604) und anderer Lutheraner ins Gericht.18

Bis weit ins 17. Jahrhundert – und noch darüber hinaus – provozierten solche polemischen Gegenschriften wiederum zunehmend umfängliche Dementi. Vielgelesen war etwa die Schrift Lutherus Defensus (1634 u. ö.) des Hamburger Pastors Johann Müller (1598–1672). Unter Verweis auf verschiedene – freilich protestantische – Gelehrte sowie auf Widersprüche zwischen den katholischen Autoren arbeitet Müller eine Vielzahl antilutherischer Erzählungen ab. Der Teufelsgenealogie etwa stellt er eine gutbürgerliche Version von Luthers Herkunft entgegen und benennt die jeweils verwendeten Schriften.19 Trotz mancher argumentativer Schwächen wird damit an Müllers Buch eine für die Entwicklung der Historiographie bedeutsame Tendenz greifbar: Der Druck der Kritiker, Polemiker und Satiriker, die den panegyrischen Behauptungen der ersten Generation protestantischer Biographen und Historiker mit Gegenbehauptungen begegneten, führte dazu, nicht nur auf das Zeugnis von Autoritäten zu verweisen, die im anderen konfessionellen Lager ohnehin keine Anerkennung genossen, sondern für jede Aussage belastbares Material und verlässliche Nachweise beizubringen. An diesem Wechselspiel von Biographik und Antibiographik lässt sich nicht nur die Entwicklung historiographischer Methodik als Instrument der Eristik studieren,20 es zeigt sich daran auch eine Engführung der interkonfessionellen Kontroverse auf die Beurteilung der Person Luthers. Dieser lange Streit um die zentrale Identifikationsfigur, der diese maßgeblich konstituierte, wurde nicht zufällig volkssprachlich geführt: Jenseits komplexer und voraussetzungsreicher theologischer Debatten sollten die weniger gelehrten Anhänger und Gegner Luthers mit leicht fassbaren argumenta ad personam munitioniert werden, mit denen sie ihre Position verteidigen könnten oder gar zum Wechsel des Lagers zu bewegen wären.

Die vielleicht größte Herausforderung erschien zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Heinrich Denifles (1844–1905) Arbeit Luther und das Luthertum (1904/06). Mit großer Gelehrsamkeit und grimmiger Akribie hatte der Dominikaner die Quellen zur frühen Lebensgeschichte Luthers zusammengetragen, geprüft und zur Grundlage einer ebenso umfassenden wie heftigen, die Grenze zur persönlichen Kompromittierung häufig überschreitenden Kritik gemacht. So beleuchtet Denifle einerseits etwa Luthers Darstellungen des Mönchtums vor dem historischen Hintergrund, wie er sich andererseits auch ausgiebig der „Trunksucht“ des Reformators annimmt.21 Denifle beließ es aber nicht beim Nachweis von Irrtümern, Vergehen und Charakterfehlern Luthers aus den zeitgenössischen Quellen, er entlarvte die bisherige Luther-Biographik als teils leichtgläubige, teils absichtsvoll fälschende, jedenfalls unwissenschaftliche und unkritische Zusammenstellung von Fabeln, Halb- und Unwahrheiten.22 Vor allem (aber nicht nur) protestantische Historiker empfanden dies als Provokation, was, wie Lucien Febvre (1878–1956) herausstellte, der Anfang einer historisch-kritischen Auseinandersetzung mit Person und Persönlichkeit Luthers war.23

Die Ansichten, Deutungen und Bewertungen Luthers, seiner Person und seiner Werke, unterschieden sich nicht nur hinsichtlich der konfessionellen Lager und deren Vertreter in einer bestimmten Zeit, sondern unterlagen auch historischen Konjunkturen. Ein solcher Wandel des Lutherbildes – gleichsam vom ‚Heiligen‘ zum ‚Teufel‘ – zeigt sich in besonderer Deutlichkeit in der Beurteilung von Luthers antisemitischen Äußerungen (Kat. Nr. 23). Konvergierten diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit pseudowissenschaftlich fundierten völkischen Rassentheorien und führten in der Rezeption dazu, Luther zum heroischen Ahnherrn einer auch gewaltsam durchzusetzenden ‚Reinhaltungspolitik‘ zu erklären, war dies ab der Jahrhundertmitte Ausgangspunkt einer anhaltenden Debatte.24 Seine Dämonisierung der Juden trug entscheidend dazu bei, dass auch aufseiten der Evangelischen Kirche rein positive Darstellungen Luthers heute nur mehr um den Preis historischer Blindheit zu haben sind.

 

 


 

1  Bspw. WA TR 6, 6816f., S. 209ff.

2  Brückner 1974, S. 275ff.

3  Vgl. Grisar/Heege 1921–1923; Scribner 1994, S. 148–188.

4  Alberus 1523.

5  Anz 1898.

6  Edictum 1521, Bl. bii v; Edict 1521, Bl. B r. Vgl. Burschel 2004, S. 27.

7  Cochlaeus 1549, o. P. [Praefatio; vor S. 1]. Vgl. Cochlaeus 1534a, Bl. P3 r, IIII, § 14. Siehe dazu Lutz 1977, S. 179.

8  Im Gegensatz zu Darstellungen Luthers mit Teufel, existieren so gut wie keine Bilder, die Luther als Teufel zeigen. Der Titelholzschnitt von Conrad Vetters Scharwerck. Und Frondienst für den Würdigen Herrn Abraha[m] Brucker (Ingolstadt: Angermaier 1608), der Luther mit Hörnern zeigt, ist Johannes Nas’ Antigratulatio (Ingolstadt: Weissenhorn 1568) entnommen (Kat. Nr. 24).

9  Laubenberger 1659, S. 1 u. 2. Die Darstellung anti-lutherischer Positionen in Form einer fingierten Selbstdarstellung Luthers findet sich schon in Conrad Vetters Der Unschuldige Luther (1594 u. ö.) und verdankt sich offenbar dem verwendeten z. T. autobiographischen (oder als solches missverstandenen) Material.

10  Van Gülpen 2002, S. 357f.

11  Sylvius 1534, Bl. Eiii v.

12  Richardsen-Friedrich 2003, S. 173–177.

13  Brückner 1974, S. 280 u. 290ff.

14  Burschel 2004, S. 46f.

15  Siehe dazu Mayer 2004; Mayer 2009. Siehe auch Aymoré 2009, S. 280–324, bes. S. 310ff.

16  Fuchs 2012, bes. S. 24ff.

17  Du Préau 1569, S. 271.

18  Vgl. Nas 1570. Wie der Titel bereits verrät, waren Nas’ Zenturien vor allem gegen die von Matthias Flacius (1520–1575) initiierten Magdeburger Centurien gerichtet. Da diese allerdings nur bis ins 13. Jahrhundert reichen, musste Nas für seine Kritik der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung auf andere Quellen zurückgreifen.

19  Müller 1658, S. 6–12.

20  Zu der zugrundeliegenden Dialektik von Fälschung und methodologischem Fortschritt in den historischen und philologischen Wissenschaften siehe Grafton 2012.

21  Denifle 1904–1906, Bd. 1, S. 100–103 u. 285f.; Bd. 2, S. 813. Denifle bemerkt zwar, er behandle diesen Aspekt nur „nebenbei“ (Bd. 1, S. 103), gibt ihm aber dennoch reichlich Raum.

22  Denifle 1904–1906, u. a. Bd. 2, S. 861 f.

23  Febvre 1996, S. 33–44.

24  Siehe dazu Lehmann 2012c; Lehmann 2012d.

 

 

Zitierempfehlung: Hole Rößler: Luther, der Teufel. Einführung in die Sektion. In: Luthermania – Ansichten einer Kultfigur. Virtuelle Ausstellung der Herzog August Bibliothek im Rahmen des Forschungsverbundes Marbach Weimar Wolfenbüttel 2017. Format: text/html. Online: http://www.luthermania.de/exhibits/show/hole-roessler-luther-der-teufel [Stand: Zugriffsdatum].